Polizeigesetz - die Arbeit der Kantonspolizei St.Gallen wird gestärkt
Das Bedrohungs- und Risikomanagement der Kantonspolizei St.Gallen hat die Aufgabe, von Personen ausgehende Gefährdungen frühzeitig zu erkennen, einzuschätzen und die nötigen Präventionsmassnahmen einzuleiten.
Ziel ist es, Gewalttaten rechtzeitig und wirkungsvoll zu verhindern. Anlässlich der Februar- und Aprilsession 2024 wurden vom Kantonsrat zwei Nachträge zum kantonalen Polizeigesetz gutgeheissen.
Bei einem dieser beiden Nachträge geht es um ebendiese Beurteilung von Gefahrenpotenzialen auffälliger Personen. Doch welche Revisionen wurden sonst noch beschlossen? Wie sind sie zustande gekommen? Und was hat es mit dem elektronischen Datenaustausch mit anderen Kantonen auf sich? Diese und weitere Fragen wurden im Interview mit Patrice Fuchs unter die Lupe genommen. Fuchs ist Stabsjurist im Kommandobereich der Kantonspolizei St.Gallen. Zusammen mit der Leitung des Kommandobereichs bearbeitet er juristische Fragestellungen aller Art.
Patrice Fuchs, vielen Dank für das Gespräch. Zu Beginn möchte ich das Thema ein wenig einordnen: Welche Nachträge im Polizeigesetz standen überhaupt zur Diskussion??
Patrice Fuchs: Es standen insgesamt die nachfolgenden vier Nachträge zur Diskussion:
XIV. Nachtrag zum Polizeigesetz mit den Themen Bedrohungs- und Risikomanagement und Koordinationsgruppe Gewaltprävention sowie automatisierter Datenaustausch
XV. Nachtrag zum Polizeigesetz mit der Thematik Präventive polizeiliche Tätigkeit
XVI. Nachtrag zum Polizeigesetz mit der Thematik Automatisierte Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung
XVII. Nachtrag zum Polizeigesetz mit der Thematik Kostentragung von Veranstalterinnen und Veranstaltern
Und welche Revisionen im Polizeigesetz wurden seitens Kantonsrat angenommen?
Patrice Fuchs: Seitens Kantonsrat wurden anlässlich der Februar- und Aprilsession 2024 der XIV. und XV. Nachtrag zum Polizeigesetz gutgeheissen und mit wenigen (inhaltlichen und formellen) Änderungen angenommen. Die beiden übrigen Revisionen wurden vorerst zurückgestellt.
Wie sind die Revisionen zu Stande gekommen?
Patrice Fuchs: Einer der ausschlaggebenden Hauptpunkte waren sicherlich parlamentarische Vorstösse in der Vergangenheit. Dem Parlament war es wichtig, in den erwähnten Themenbereichen gute Rechtsgrundlagen zu schaffen oder bestehende zu optimieren. Ebenso gab es merkliche Bestrebungen in anderen Kantonen, welche sich mit der gleichen Thematik, insbesondere betreffend Datenaustausch, befasst haben und dabei waren, in besagten Bereichen Rechtsgrundlagen zu schaffen. Schliesslich hatte natürlich auch die Kantonspolizei St.Gallen das Bedürfnis, über entsprechende rechtliche Grundlagen in den besagten Themenbereichen zu verfügen. Kombiniert haben diese Gründe dazu geführt, dass das Sicherheits- und Justizdepartement (SJD) schliesslich in Zusammenarbeit mit der Kantonspolizei die besagten Nachträge in Angriff genommen hat.
Worum geht es im Nachtrag zum Bedrohungs- und Risikomanagement?
Patrice Fuchs: Mit dem XIV. Nachtrag im Polizeigesetz werden die rechtlichen Grundlagen für ein professionelles Bedrohungs- und Risikomanagement geschaffen. Die Beurteilung von Gefahrenpotenzialen auffälliger Personen gehört zu den präventiven Aufgaben der Polizei. Das Bedrohungs- und Risikomanagement hat die Aufgabe, von Personen ausgehende Gefährdungen frühzeitig zu erkennen, einzuschätzen und die nötigen Präventionsmassnahmen einzuleiten. Ziel ist es, dadurch (schwere) Gewalttaten rechtzeitig und wirkungsvoll zu verhindern.
Und was hat es mit dem elektronischen Datenaustausch auf sich?
Patrice Fuchs: Die neue Rechtsgrundlage ermöglicht es der Polizei, Daten mit anderen Polizeikorps in der Schweiz automatisiert elektronisch auszutauschen, um somit eine effizientere und schnellere Kriminalitätsbekämpfung und Gefahrenabwehr gewährleisten zu können..
Warum ist der Bedarf an einem elektronischen Datenaustausch aus Sicht der Kantonspolizei St.Gallen wichtig?
Patrice Fuchs: Bis heute ist ein Informationsaustausch zwischen verschiedenen kantonalen Polizeikorps nur im Einzelfall und auf Antrag möglich. Seit Jahren fordert die Polizei deshalb eine gesetzliche Grundlage für den interkantonalen automatisierten Datenaustausch zwischen den Polizeibehörden. Dieser Bedarf wurde auch vonseiten der Politik erkannt, welche im Jahr 2021 eine entsprechende Motion gutgeheissen hat. Mit vorliegendem XIV. Nachtrag wird die dringend benötigte gesetzliche Grundlage dafür geschaffen. Im Sinne einer wirksamen kantonsübergreifenden und gesamtschweizerischen Polizeizusammenarbeit im Hinblick auf eine effektive Kriminalitätsbekämpfung ist es notwendig, dass unter den Behörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden vermehrt elektronisch zusammengearbeitet werden kann und zu diesem Zweck Daten zwischen den Behörden im Abrufverfahren (automatisiert) ausgetauscht werden können. Die Täter sowie deren Verbrechen machen keinen Halt an den Kantonsgrenzen. Ein zeitnaher, verhältnismässiger Austausch zwischen den entsprechenden Polizeikorps ist elementar wichtig und insbesondere im Rahmen der seriellen Kriminalität ein grosser Mehrwert.
Welcher automatisierte elektronische Austausch war denn bislang möglich und wo waren die Grenzen abgesteckt?
Patrice Fuchs: Bis anhin war grundsätzlich gar kein automatisierter Austausch möglich. Wie gesagt war ein Austausch nur im Einzelfall auf spezifische Anfrage möglich, ausser natürlich bei bereits bestehenden (Bundes-)Datenbanken, für welche die spezifischen gesetzlichen Grundlagen bereits bestehen (z.B. das automatisierte Polizeifahndungssystem RIPOL).
Worum geht es im XV. Nachtrag zur polizeilichen präventiven Tätigkeit?
Patrice Fuchs: Das Polizeigesetz weist im Rahmen der polizeilichen Befugnisse bereits seit längerer Zeit diverse Lücken auf. Es handelt sich einerseits um Befugnisse, welche gemäss heutiger Rechtsprechung und Lehre zwingend in einem Gesetz niedergeschrieben sein müssen oder auch um Befugnisse, welche aufgrund eines gesetzgeberischen Versehens nicht mehr im Polizeigesetz zu finden sind. Die Möglichkeit zur Anhaltung und Identitätsabklärung wurde beispielsweise im Jahr 2011 mit Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO) aus dem Polizeigesetz entfernt, weil man der Meinung war, dass dies durch die neuen Artikel der StPO abgedeckt sei. Erst später hat man bemerkt, dass auch ausserhalb der StPO, zum Beispiel im Rahmen der sicherheitspolizeilichen Gefahrenabwehr oder zur Klärung von ersten Verdachtsmomenten eine Anhaltung und Identitätsabklärungen im Rahmen des Polizeigesetzes möglich sein muss.
Das heisst, dieser Nachtrag regelt die Befugnis der Polizei, jemanden anhalten und kontrollieren zu können?
Patrice Fuchs: Diese Befugnis war schon immer vorhanden, wird jetzt aber in juristischer Hinsicht besser verankert. Sie wurde aufgrund eines gesetzgeberischen Versehens aus den genannten Gründen mit Einführung der eidgenössischen Strafprozessordnung aus dem Polizeigesetz gestrichen. Nun findet sie korrekterweise wieder Eingang.
Wie wird sich die Arbeitsweise der Polizistinnen und Polizisten ändern, sobald die Nachträge in Kraft treten?
Patrice Fuchs: Das Bedrohungs- und Risikomanagement ist bereits seit einiger Zeit produktiv tätig. Durch die neu geschaffenen Rechtgrundlagen erhalten sie die nötige rechtliche Legitimation und gesetzliche Handlungsbefugnis, um Ihre Arbeit bestmöglich absolvieren zu können.
Infolge des neu geschaffenen automatisierten Datenaustausches wird die Polizei künftig im Rahmen der Kriminalanalyse schneller und effizienter an benötigte Informationen gelangen und diese wertvollen Hinweise direkt in die weitergehenden Ermittlungen einfliessen lassen können. Dies wird im besten Falle zu einem schnelleren Ergreifen der Täterschaft und zur Verhinderung weiterer Delikte führen.
Die Ergänzungen im Bereich der präventiven polizeilichen Tätigkeit geben den Polizistinnen und Polizisten schliesslich wieder die juristisch korrekt abgestützten Befugnisse, mit welchen sie ihren Grundauftrag weiterhin rechtmässig erfüllen können, ohne dass sie strafrechtliche Konsequenzen für ihr rechtmässiges Handeln befürchten müssen.
Inwiefern werden die Bürgerinnen und Bürger diese Nachträge spüren?
Patrice Fuchs: Durch die gesetzlichen Grundlagen im Bereich des elektronischen Datenaustauschs sind Deliktserien schneller zu erkennen und können folglich auch effizienter aufgedeckt werden. Aufgrund der Erkennung des seriellen Zusammenhangs können im besten Fall auch weitere künftige gleichgelagerte Delikte verhindert werden. Gleiches gilt für den Nachtrag in Sachen Bedrohungs- und Risikomanagements. Es liegt jedoch in der Natur der Sache, dass „nicht begangene Delikte“ nicht beziffert werden können. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass die Polizei durch die erwähnten neuen gesetzlichen Grundlagen künftig mehr Delikte verhindern und entsprechende Gefahren abwenden kann. Die Voraussetzungen für eine zukünftige Stärkung der präventiven polizeilichen Tätigkeit sind nun vorhanden.
Ab wann sind die Revisionen in Kraft? Wie sind die weiteren Schritte?
Patrice Fuchs: Es ist davon auszugehen, dass die beiden Nachträge per 1. Januar 2025 in Kraft treten werden.
Der Nachtrag zur Einführung der automatisierten Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung wurde vom Parlament zurückgestellt. Worum geht es dabei?
Patrice Fuchs: Das System zur automatisierten Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung (AFV) erkennt mit einer Kamera automatisiert Kontrollschilder von vorbeifahrenden Fahrzeugen und gleicht diese mit einer oder mehreren Datenbanken ab. Dabei können gestohlene Fahrzeuge, flüchtende Täter oder auch Halterinnen und Halter mit Führerausweisentzug automatisiert erkannt werden. Im Anschluss an die Erkennung können weitere notwendige polizeiliche Massnahmen in die Wege geleitet werden.
Welches ist dabei der „Zankapfel“?
Patrice Fuchs: Man möchte sich Zeit für den politischen Diskurs nehmen. Teile der Bevölkerung befürchten eine Entwicklung hin zu einem Überwachungsstaat und führen oft das Beispiel von China ins Feld. Die Vorteile im Hinblick auf die Kriminalitätsbekämpfung und die Prävention hingegen werden kaum thematisiert.
Auch die Beteiligung an den Kosten von Polizeieinsätzen bei nicht bewilligten Demonstrationen wurde zurückgestellt. Wie bedeutsam wäre dieser Nachtrag für die Kantonspolizei?
Patrice Fuchs: Bereits heute kann die Polizei die Kosten von polizeilichen Massnahmen auf den Verursacher überwälzen (siehe Art. 52 Abs. 1 Polizeigesetz). Eine explizite und detaillierter ausgestaltete Norm betreffend die Kostentragung von Veranstalterinnen und Veranstalter wäre zwar auch aus Sicht Polizei wünschenswert, ist aber primär ein politisches Thema.
Ganz herzlichen Dank für das spannende Gespräch!
Das Interview geführt hat Simon Anderhalden, Abteilung Kommunikation der Kantonspolizei St.Gallen.
Bis zur Umsetzung der vorliegenden Revision sind nur Erkenntnisse und Ermittlungsansätze aus dem eigenen Kanton unmittelbar verfügbar und können so zur Klärung von Straftaten herbeigezogen werden. Informationen aus den anderen Kantonen sind nicht automatisiert und jeweils nur auf Anfrage abrufbar. Dadurch wird eine zielführende Polizeiarbeit erschwert, verlangsamt und teilweise gar verunmöglicht.
Die Kantonspolizei St.Gallen interessiert sich bei einem automatisierten elektronischen Datenaustausch nicht für Bagatellen, sondern für Seriendelikte, für hochaktive Täterschaften und ist auf der Suche nach Hinweisen von Straftaten mit grossem volkswirtschaftlichem Schaden oder mit massiven Nachteilen für Opfer. Insbesondere geht es dabei um interkantonale oder international grenzüberschreitende Seriendelikte. Bei dieser Art der Polizei- und Ermittlungsarbeit ist es wichtig, dass auch die Informationen aus anderen Kantonen in die Abklärungen sowie in die Lagebeurteilung einfliessen können.
Aber wäre im Rahmen der täglichen Polizeiarbeit nicht die offizielle Amts- und Rechtshilfe das richtige Mittel, um an Informationen aus den Nachbarkantonen zu gelangen? Nein, denn Amts- und Rechtshilfe beruht darauf, dass die Polizei weiss, in welchem Kanton sie sinnvollerweise Daten anfordern soll. Dies ist aber häufig gar nicht bekannt. Somit gibt es zwei Lösungen: Entweder auf Vorrat 25 Gesuche an alle anderen Kantone stellen oder darauf vertrauen, dass mit den eigenen Daten das Ziel auch erreicht werden kann. Die Kantonspolizei St.Gallen hat kein Interesse daran, dass sich die Kantone gegenseitig mit Anfragen «überschwemmen» oder sich bei den heute bestehenden Hürden aufgrund fehlender Ermittlungsansätze geschlagen geben. Wir leben heute in einer globalisierten und digitalisierten Welt. Die Gesellschaft (und insbesondere auch Kriminelle) bewegen sich heute frei über Grenzen hinweg. Die Polizeiarbeit ist aber bisher beim überkantonalen elektronischen Datenaustausch stark eingeschränkt, da nicht einmal die Informationen der Nachbarkantone verfügbar sind.
Beim automatisierten elektronischen Datenaustausch geht es auch nicht um eine Datenbearbeitung in einem vernetzten Einheitssystem. Es geht um den gegenseitigen Austausch der Daten in erster Linie zu Ermittlungszwecken. Es geht aber auch darum, wichtige Erkenntnisse zu einer Person zum Schutz unserer Polizeikräfte zur Hand zu haben. Folgendes Beispiel: Eine Patrouille rückt an die Adresse einer Person aus, die kürzlich in unseren Kanton gezogen ist und hier noch nicht polizeilich in Erscheinung getreten ist, in ihrem früheren Wohnkanton aber mehrfach Polizeikräfte angegriffen hat. Heute ist es Realität, dass unsere Polizistinnen und Polizisten aufgrund des ausbleibenden Datenaustauschs gezwungen sind, ohne diese Erkenntnisse in eine gefährliche Situation zu geraten. Es braucht also eine Verknüpfung von Polizeidatenbanken. Einerseits um die Polizeikräfte mit Informationen zu relevanten Vorgängen einer Person zu versorgen und andererseits, um polizeiliche Ermittlungen nicht an der Kantonsgrenze verebben zu lassen und ihnen relevante Informationen vorzuenthalten. Die Polizei muss die Möglichkeit haben, über die Kantonsgrenze hinaus Zusammenhänge zu erkennen und Hinweise für Ermittlungen zu erhalten oder anderen Kantonen solche zu liefern.
Der Föderalismus wird mit einem elektronischen Datenaustausch nicht ausgehebelt. Die Polizeihoheit liegt nach wie vor beim Kanton. Die Kantone helfen sich aber gegenseitig, indem die jeweiligen Daten neue und andere Ermittlungsansätze zur Klärung der Delikte im jeweiligen Kanton liefern.
Ob eine gesetzliche Grundlage für den automatisierten elektronischen Datenaustausch in naher Zukunft auf Bundesebene geschaffen werden kann, ist derzeit noch unklar. Fakt ist: Mit dem XIV. Nachtrag im Polizeigesetz ist nun zumindest im Kanton St.Gallen eine Basis geschaffen worden, um Informationen mit anderen Kantonen künftig automatisiert austauschen zu können. Dies führt aber nur in der Zusammenarbeit mit jenen Kantonen zum Ziel, die ebenfalls bereits entsprechende gesetzliche Grundlagen geschaffen haben.
Quelle: Kantonspolizei St.Gallen
Bildquelle: Kantonspolizei St.Gallen